In unserem wissenschaftlich geprägten 21. Jahrhundert kann heute jeder mit Internetzugang oder einer Bibliothek alles über das Nordlicht erfahren. Wie so viele einst mysteriöse Naturphänomene – wie Regenbogen oder Donner – ist das Nordlicht heute weitgehend gut erforscht.

Doch sollte man nicht vergessen, dass die Nordlichter tatsächlich erst Ende des 19. Jahrhunderts richtig untersucht wurden. Erst durch die Experimente des norwegischen Wissenschaftlers Kristian Birkeland (1) konnten die farbenfrohen Theorien und abergläubischen Vorstellungen rund um das Nordlicht langsam überwunden werden.

Eine der bekanntesten nordnorwegischen Überlieferungen über das Nordlicht drehte sich beispielsweise um seine Gefährlichkeit. Obwohl das Nordlicht im norwegischen Polarkreis ein häufiger Anblick und wunderschön war, galt es als potenzielle Gefahr, besonders für Kinder. Eltern warnten ihre Kinder, sich zu benehmen und keinen Unsinn zu machen, wenn das Nordlicht am Himmel erschien. Doch die Kinder, wie sie nun einmal sind, stürmten oft trotzdem nach draußen, winkten, riefen und pfiffen in Richtung des Nordlichts, in dem Glauben, dass es dadurch anfangen würde, zu tanzen (2).

Dieser Glaube, das Nordlicht könne Kindern gefährlich werden, war vor allem in Nordnorwegen weit verbreitet, besonders rund um Tromsø und im Herzland der Sámi. Ähnliche Vorstellungen gab es auf den Färöer-Inseln, wo Kinder bei leuchtendem Nordlicht nicht ohne Mütze nach draußen durften, aus Angst, das Licht könnte hinabkommen und ihre Haare versengen (3). Wahrscheinlich sind solche Überzeugungen ein Überbleibsel heidnischer Vorstellungen.

In Schweden hatte man eine ganz andere Erklärung für das Nordlicht. Statt es als potenzielles Chaos und Gefahr zu sehen, verbanden die Schweden die schimmernden Lichter des Nordlichts mit…Fischen! Und nicht mit irgendwelchen Fischen: Das Nordlicht sollte durch das Mondlicht entstehen, das sich auf den Schuppen riesiger Heringsschwärme spiegelt, die knapp unter der Wasseroberfläche schwimmen (4).

Noch romantischer als die Schweden erklärten die Dänen das Nordlicht durch ein niedlicheres Tier, nämlich Schwäne. Die Geschichte lautet folgendermaßen: Wenn ein großer Schwarm Schwäne zu nah am Nordpol fliegt, gefrieren ihre Flügel, und die Vögel müssen besonders kräftig schlagen, um weiterzufliegen. In diesem Moment fängt sich das Licht der Sonne in ihren schimmernden Federn und wird vielfach gebrochen, wodurch das flimmernde Nordlicht entsteht (5).

An den östlichen Ufern der Ostsee, gegenüber von Schweden und Dänemark, liegt Finnland. Im Norden Finnlands ist das Nordlicht ein häufigerer Anblick als in den meisten der anderen genannten Länder. Finnland hat ebenfalls eine tierbezogene Sage zum Nordlicht.

In den dünn besiedelten felsigen Hochebenen Nordfinnlands dreht sich die bekannteste Geschichte über das Nordlicht um keinen anderen als den liebenswerten Polarfuchs. Es heißt, dass das Nordlicht entsteht, wenn der Fuchs durch den frisch gefallenen Schnee prescht und dadurch eine starke statische Aufladung zwischen seinem buschigen Schwanz und dem Schnee erzeugt, die sich dann in Form einer Aurora am Himmel zeigt (6).

Diese kleine Auswahl an Geschichten zeigt, dass selbst lange nach dem Einzug des Christentums und der Wissenschaft die Menschen im hohen Norden noch ihre eigenen Erklärungen für das geheimnisvolle Nordlicht fanden, das die Winterhimmel erleuchtete. Und sie waren darin nicht allein, denn selbst berühmte Wissenschaftler kamen zuweilen auf unterhaltsame Erklärungen, um das damals noch unerklärliche Nordlicht zu deuten. Über diese faszinierenden Geschichten könnte noch vieles geschrieben werden, und es wird sicher auch noch viel darüber erzählt werden.

Quellen:

(1) Brekke Pål and Broms Frederik. (2013). Northern Lights – A Guide . Oslo. Forlaget Press. (30 – 32)

(2) Brekke, Asgeir. (2006). “Gerd Gymesdaughter and the northern lights” in Arctic Lights. Tromsø. Tromsø University museum. (7 – 8)

(3) Ibid. (10)

(4) Olaus Magnus. (1996). A Description of the Northern Peoples (P. Foote, Ed.). London. The Hakluyt Society (Original work published in 1555). Vol I. (36)

(5) Brekke Pål and Broms Frederik. Op. Cit. (27)

(6) Davis, Neil. (1992). The Aurora Watcher’s Handbook. Anchorage. University of Alaska Press. (169)